Es ist schon bemerkenswert, dass bereits im Jahre 1892 in der damals kleinen Provinzstadt Gießen ein Marine-Verein gegründet wurde.

Der Inhaber einer Gastwirtschaft, hatte das “blaue Tuch” getragen und wohl deshalb seine Gaststätte ” Zum Seemannsheim” genannt. Dort trafen sich am 12. April 1892 elf Kameraden und gründeten mit vier weiteren “Ehemaligen”, die verhindert, aber ihre Bereitschaft erklärt hatten, den Marine-Verein Gießen.

15 Gründungsmitglieder, das war für Gießen eine beachtliche Zahl, besonders wenn man bedenkt, dass 1890/91 die Deutsche Marine eine Mannschaftsstärke von nur 16.000 Mann hatte. Deshalb ist wohl anzunehmen, dass unter den Gründungsmitgliedern auch einige Handelsmariner gewesen sein mögen.

Monatlich fanden “Vereinsmusterungen” statt, bei denen fast immer neue Kameraden aufgenommen wurden. So konnte man guten Mutes im Mai 1892 im Großen Saal des bekannten Lokals “Cafe Leib” das 1.Stiftungsfest feiern.

1894 wurde die Anschaffung einer Vereinsfahne beschlossen. Die Ehefrau eines Kameraden war mit der Herstellung fast ein ganzes Jahr beschäftigt. Nachdem ein Regierungsassessor vom Polizeiamt die Genehmigung zur Führung der Vereinsfahne erteilt hatte, fand am 14.6.1896 die Fahnenweihe statt.

Steigende Mitgliederzahlen ließen das Altvertraute Vereinslokal “Zum Seemannsheim” bald zu klein werden. Man siedelte in den “Felsenkeller” über, blieb aber dort nicht lange, weil das im MVG so beliebte “Melchiorbier” nicht ausgeschenkt wurde. Im “Hotel Hopffeld”, das dann viele Jahre Vereinslokal war, wurde am 13./14.11.1912 das 20. Stiftungsfest gefeiert.

1926 wurde die Gründung einer “Jugendabteilung” beschlossen, die bald 30 Junggasten zählte.

Im Jahre 1926 reifte der Gedanke, ein Bootshaus zu errichten. Der Bauausschuss berichtete am 5.3.1927 zum ersten Mal, und bereits am 3.4.1927 erfolgte die Grundsteinlegung. Eine in Umlauf gesetzte Sammelliste wurde “überzeichnet”, so dass nicht nur die Baukosten sondern auch die Finanzierung der Bootsriemen für einen Kutter und 2 Jollen gesichert waren. Die Beschaffung des Vereinsgeländes an der Lahn, in der nähe der Magaretenhütte, wurde von dem Gießener Braun-Steinwerk auf 99 Jahre gepachtet. Der der Grundsteinlegungs- Urkunde beigelegten Mitgliederliste war zu entnehmen, dass dem Verein seinerzeit “106 Kameraden und 25 Junggasten” angehörten.

Anlässlich des 35. Stiftungsfestes am 5. und 6.6.1927 wurde das Bootshaus eingeweiht und der Jugendabteilung übergeben. Die Festansprache hielt Admiral a.D. Wilke. Der Kutter wurde von Kapitän Schmehl auf den Namen “Deutschland”, das 2. Boot auf den Namen “Hessen” und das 3. Boot auf den Namen “Gießen” getauft.

Im Geschäftsbericht 1927/28 wird erwähnt, dass sich das Vereinsleben weiter gut entwickelt hat. Das Bootshaus wurde “recht zahlreich besucht und ist eine Stätte schönen Gemeinschaftslebens”. Nach Ruder- und Schwimmwettkämpfen am Tage, fanden die Feste gegen Abend mit einer Fackel-Polonaise für die Kleinsten ihren Abschluss. Es folgte dann das Tanzvergnügen, gegen Mitternacht eine Mondscheinfahrt mit allen Booten, und stets um 01:00 Uhr wurde “Pfeifen und Lunten aus” gepfiffen.

In den Jahren 1928/29 baute die Stadt Notwohnungen bis dicht an das Vereinsgelände, man sah ein, dass es mit dem “schönen Plätzchen” bald vorbei sein würde.

Der Chronist berichtet: “Am 24.3.1929 besuchte der 1.Vorsitzender einen Kameraden, und beide machten einen Spaziergang hin zum Wißmarer Weg. Es ging plaudernd zu dem Trechsler’schen Garten und beide kletterten über den Zaun. Als dann die beiden am Lahnufer standen und im hellen Frühlingssonnenschein die Nachen und Kähne, Ruder- und Paddelboote vorüberziehen sahen, da genügte ein tiefer Blick in vier alte, treue Seemannsaugen, und ohne ein Wort zu sagen, wussten jetzt zwei Kameraden, was geschehen musste. – Das war die Geburtsstunde des Marineheimes!”.

Die Generalversammlung hatte einstimmig beschlossen, das Trechsler’sche Grundstück mit der darauf befindlichen Kühl-Eishalle für 6.700 Mark zu kaufen. Der Umbau der Halle mit dem Neubau eines kleinen Turmes wurde ohne Einrechnung der selbstverständlichen Eigenarbeiten von Architekt Otto Seibert mit 8.000 Mark veranschlagt. Für die Kreditgewährung war ein Eigenkapital von 3.000 Mark erforderlich, das – so das Protokoll – “in kameradschaftlicher Weise” aufgebracht wurde.

Am 20.5.1929, dem 2. Pfingsttag, wehten erstmals bei einem Kameradschaftstreffen die Flaggen über dem neuem Grundstück. Nach Eingang der Baugenehmigung wurde am 12.8.1929 mit dem Bau begonnen. Im September 1929 wurden die Bauarbeiten und im folgenden Monat der Innenausbau beendet.

Ende Mai 1930 feierte man im neuen Heim das 38. Stiftungsfest, und der “Gießener Anzeiger” schrieb:” Das neue Heim des Vereins, das aus einer früheren Eishalle seinem jetzigen Zweck entsprechend umgebaut wurde, zeigt, was architektonische Kunst und Opfersinn zustande bringen… Am Sonntag fand im geräumigen Garten … ein schön verlaufenes Volksfest statt.

Bereichert wurde es durch Darbietungen der Junggasten, die sowohl im Rudern, wie auch im Staffel- und Einzelwettschwimmen recht anerkennenswerte Leistungen zeigten”. Letzteres bestätigte auch im Juli 1930 ein Wettrudern in Frankfurt, wo die Gießener Junggasten “die beiden Hauptsiege” errangen. Das war wohl für den Bund Deutscher Marine-Vereine der Anlass, der Gießener Marine-Jugend am 3.1.1931 eine achtriemige Jolle zu stiften.

Weiter wird beschlossen, zum 40. Stiftungsfest einen Gedenkstein für die Toten einzuweihen. In Verhandlungen entscheidet man sich für ein schlichtes Denkmal. Ein großer Findling erhält die Widmung “Unseren Toten” und der Bund Deutscher Marine-Vereine stiftete den dazugehörigen Admiralitätsanker. Die Gesamtkosten werden durch Spenden aufgebracht.

Ab Juni 1932 wird dem Stützpunkt des Deutschen Hochseesportverbandes “Hansa” kostenfrei Gastrecht im “Haus der Kameradschaft” gewährt. In dieser Zeit wird auch der Einbau einer Dampfheizung vollzogen, was für damalige Zeit schon ein gewisser Luxus war. Der MVG hatte seinerzeit 149 Mitglieder und viele Freunde und Gönner. Dementsprechend groß war dann auch die Beteiligung am 40. Stiftungsfest, das am 4. und 5. Juni 1932 gefeiert wurde. Dieses gelungene Fest war die letzte große Veranstaltung vor einer langen Wegstrecke durch dramatische Zeiten und harte Kriegs- und Nachkriegsjahre.

Ein neuer Anfang

Auch das “Haus der Kameradschaft” des MVG wurde in der allgemeinen Plünderungswelle nach Kriegsende total verwüstet. Mobiliar, der Bootspark und wertvolle, unersetzliche Erinnerungsstücke gingen unter. Durch die Kontrollratsgesetze wurde jegliche Vereinstätigkeit untersagt und das Vermögen des MVG beschlagnahmt.

1947 wurden die Finanzbehörden von der Militärregierung angewiesen, beschlagnahmten Grundbesitz zu veräußern. In diesen Tagen kaufte ein “Strohmann” den MVG-Grundbesitz für lächerliche 40.000 Reichsmark. Auf dem Schwarzmarkt bekam man dafür z. B. ganze 20 Stangen Zigaretten. Das Grundstück wechselte dann bald auch wieder seinen Besitzer und vermutlich mit beträchtlichem Gewinn. 1947 trafen sich die Kameraden des noch verbotenen MVG regelmäßig am “Marinestammtisch”. In einer Versammlung am 19.5.1951, die nach der Vereinssatzung aus dem Jahre 1926 geleitet wurde, wurde die Neugründung des MVG beschlossen. Am 19.6.1952 erfolgte die amtsgerichtliche Eintragung.

Am 3.5.1952 wurde das 60. Stiftungsfest gefeiert. Am Gedenkstein auf dem alten Vereinsgelände durfte mit Genehmigung des neuen Besitzers ein Kranz niedergelegt werden, allerdings war nur einem Kameraden gestattet, das Grundstück zu betreten. Die Vereinsversammlung blieb vor dem Zaun, eine Zumutung, die auch über die nächsten Jahre hinweg ertragen werden musste. Alle Versuche, das Vereinsgelände zurückzuerhalten, blieben erfolglos. 1960 wurde dann eine Entschädigung von 4.000,-DM durch das Finanzamt zugesprochen.

1959 wurde ein Gelände gepachtet und hier wurde im August 1959 ein großes Sommerfest gefeiert. Höhepunkt des Tages war die Indienststellung eines Segelkutters (mit Kajüte und Motor), den das Ehrenmitglied Karl Schlemm auf den Namen “Schlammbeisser” taufte. Der Name ist ist doppeldeutig und deshalb schrieb man ihn mit Doppel-s. Denn der Kutter hatte nicht immer die sprichwörtliche “Handbreit Wasser unterm Kiel” und “Biss” deshalb oft in den Lahnschlamm.

Die Sechziger-Jahre waren eine Zeit besonders aktiver Vereinstätigkeit. Immer wieder war man auf der Suche nach einem geeigneten Lahngrundstück. Die Marine-Jugend unter Leitung der Kameraden Ernst Krausch und Karl Wißner erlebte einen großen Aufschwung. Im Oktober 1963 kam ein 10-riemiger Kutter der Bundesmarine zur Lahn, auf dem mancher Gießener Junge in froher Kameradschaft das Pullen lernte.

Endlich, am 30.5.1964, beschloß eine außerordentliche Hauptversammlung die Pachtung des städtischen Grundstückes Wißmarer Weg 31. Dieses Gelände, auf dem früher die Militärschwimmanstalt und später eine Gebietsseesportschule untergebracht war, eignete sich besonders für die Arbeit der Marine-Jugend. Mit der langfristigen Pachtung war auch der Bau einer Hütte genehmigt worden, der noch im gleichen Jahr begonnen wurde.

Kamerad Ernst Eul baute mit seiner Crew auf dem unteren Platz am Wehr die Holzelemente, während andere Kameraden auf dem neuen Gelände in mühevoller Arbeit Schutt räumten und auf den Stützmauern einer ehemaligen Baracke die Fundamente für das Marineheim betonierten. Die großen Bauelemente wurden auf dem Kutter verladen, mit dem Motorboot lahn-aufwärts gebracht und auf den hochwassersicheren Mauern zusammengebaut. Der Bauaufsicht schien bei der Abnahme die “Hütte” etwas zu groß geraten, und so musste der gesamte geschäftsführende Vorstand auf die Stadtverwaltung zum “Rapport”. Angesichts der respektablen Leistung, die statt der genehmigten “Hütte” ein schmuckes Vereinsheim hatte entstehen lassen, erhielt das Ganze dann doch “den Segen der Stadt”.

Am 26.10.1964 tagte der Vorstand erstmals im neuen Haus Wißmarer Weg 31. Die Sitzung war wohl die längste in der Vereinsgeschichte; sie dauerte bis die Sonne am Himmel hochstieg -wohlgemerkt- im Oktober! Zu groß war die Freude, endlich wieder in den eigenen, selbst geschaffenen “Vier-Wänden” tagen zu können. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Brauerei Ihring Melchior ein zinsloses Darlehen für den Bau zur Verfügung gestellt hatte.